Kadenzen im Barock

Die Theoretiker des 17. und 18. Jahrhunderts unterscheiden Kadenzen im wesentlichen nach ihrer Länge (d. h. dem Umfang der Klauseln) und der Fortschreitung des Basses. Es kursieren unterschiedliche Begriffe in allen Landessprachen, welche teilweise unterschiedliche Aspekte behandeln. Je nachdem, welchen Aspekt der Kadenz man hervorheben will, muss man sich also unterschiedlicher Begriffe bedienen, welches natürlich leicht Verwirrung stiften kann. Andererseits kann man diese Vielfalt nicht auf die modernen Begriffe der Harmonielehre wie Ganz-, Halb- und Plagalschluss herunterbrechen, denn damit geht Wesentliches verloren. Die Vielfalt der Kadenzen dient nämlich nicht nur der varietas, sondern ist aufgrund ihrer unterschiedlichen Gewichtung auch in höchstem Maße formbildend. Ohne Kadenz- keine Formenlehre, dies gilt auch ganz besonders für die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts, in der Form einen besonders hohen Stellenwert gewinnt.

Die folgende Übersicht der wichtigsten Kadenztypen orientiert sich an der Kadenzordnung von Georg Muffat (Regulae Concentuum Partiturae, 1699). Die (begrenzt) entsprechenden Begriffe der italienischen Theorie sind dem Traktat L‘Armonico Pratico al Cimbalo (1722) von Francesco Gasparini entnommen.

Muffat:Cadentia majorCadentia minor
Muffat:Gasparini:cadenza di salto
simplexsemplice
ligatacomposta
perfectamaggiore

Muffat:Cadentia minima
Muffat:Gasparini:cadenza di grado
descedens (tenorizans)ascedens (cantizans)stabilis
simplexsemplice
ligatacomposta
perfectamaggiore

Man wird jedoch der Sache allein aus der Perspektive des Generalbass nicht gerecht. Zum einen sind nämlich Tenor- und Sopranklausel weiterhin die dominierenden Klauseln, was sich vor allem darin zeigt, dass die Penultima-Note der Bassklausel bei den längeren Kadenzen nach Belieben diminuiert werden kann. Zum anderen hängt die Qualität einer Kadenz wesentlich von der Stimmführung insbesondere der Außenstimmen ab, weshalb diese unbedingt berücksichtigt werden muss.

Weiterführende Literatur:

Felix Diergarten, Beyond 'Harmony'. The Cadence in the Partitura Tradition in: What is a Cadence?, hg. v. Markus Neuwirth und Pieter Bergé, Leuven 2015