Stimmtausch

Für die Kadenzordnung der Renaissance gilt: die Kadenz ist am stärksten, wenn sich alle Klauseln in ihrer eigentlichen Stimme befinden. Man kann die Kadenz also nicht nur dadurch schwächen, dass eine oder mehrere Klauseln fliehen, sondern auch, indem man die Klauseln vertauscht – also beispielsweise die Tenorklausel in den Bass, die Sopranklausel in die Mittel- und die Altklausel in die Oberstimme setzt. Es entsteht der charakteristische Dezimensatz zwischen den Außenstimmen, der von dem Musiktheoretiker Franchinus Gaffurius (1451–1522) schon im 15. Jahrhundert theoretisch erfasst und als unter allen großen Komponisten seiner Zeit beliebte Setzweise beschrieben wird.

Im folgenden Notenbeispiel ist die Tenorklausel in den Sopran, die Sopranklausel in den Alt und die Altklausel in den Tenor gerutscht. Auch diese Kadenz ist schwächer, wobei sich im 17. Jahrhundert die Verhältnisse allmählich umkehren und die Kadenz mit Tenorklausel in der Oberstimme zur dominierenden wird – man denke nur an die charakteristischen Kadenztriller auf der Penultima-Note der Tenorklausel in der Klassik, welche immer die gewichtigste Zielkadenz signalisieren.