Compositio

Die Zusammenstellung (Compositio) der einzelnen Bausteine führt zu einer Kreuzreim-ähnlichen Architektur: Die ersten beiden Phrasen sind deutlich aufeinander bezogen und markieren mit ihrem starken, abtaktigen Beginn den Anfang der beiden großen Formteile des auf höchster Ebene zweiteiligen Stücks. Die Phrasen vier und fünf lassen sich als „zusammengewachsenes“ Komplement zur zweiten Phrase begreifen, jeweils vom gleichen Ton der Oberstimme (aber immer verschiedenen Basstönen!) auftaktig beginnend (in der Dichtung würde man von einem Enjambement sprechen) und unterschiedliche Aspekte der zweiten Phrase aufgreifend.
Aufgrund eben dieser Dehnung des vierten Verses erscheint das zwölftaktige Stück nicht symmetrisch in 6 + 6, sondern in 5 + 7 Takte geteilt.
A (T. 1–5)a (T. 1–4.3)Sequenz – cadenza doppia mit prep.g-Moll (I)
b (T. 4.4–5.4)mi-Kadenz
A‘ (T. 6–12)a (T. 6–8.3)Sequenz – cadenza doppiaB-Dur (III) –
c-Moll (IV) –
g-Moll (I)
b (T.8.4–10.3)Sequenz – cadenza doppia
b‘ (T. 10.4–12.4)cadenza doppia mit prep.


Die letzte Phrase lässt sich darüber hinaus aber gleichsam als Flucht- und Angelpunkt des ganzen Stücks betrachten. Denn sie steht auch zur ersten Phrase in eindeutiger Beziehung, da beide als einzige mit einer doppia mit preparement von zudem gleicher Dauer in die erste Stufe des Modus kadenzieren. Außerdem entspricht der diastematische Verlauf der Oberstimme, um eine Terz abwärts transponiert, exakt derjenigen der dritten Phrase, mit welcher sie auch die Fortschreitung zu Beginn von der Quinte in die Sexte teilt. Insofern kann man in ihr auch eine große Synthese alles Vorangegangenen sehen.


Was also „Komponieren“ dem eigentlichen Wortsinn nach bedeutet, erscheint hier in höchstem Maße vollendet. Und nicht zufällig wurde Arcangelo Corelli, wie dem vorangestellten Zitat von Francesco Gasparini zu entnehmen ist, für die Sorgfalt, mit der er seine Stimmen führt und anordnet, von seinen Zeitgenossen und nachfolgenden Generationen gerühmt und sogar als „Erfinder“ bezeichnet – als Erfinder einer „idealen Harmonie“, deren Bedingungen zur Grundlage des Komponierens überhaupt im 18. Jahrhundert werden sollten. Die Klassizität seiner Kompositionen erscheint in vielfacher Hinsicht visionär: Kaum zufällig sind die vielfältigen Assoziationen, die etwa zur späteren Sonatenform oder auch zum syntaktische Prinzip der sog. „klassischen Periode“ entstehen. Vielleicht das einzige Mal in der Musikgeschichte ist die Kunst der Komposition im wahrsten Sinne des Wortes zu sich selbst gekommen.